In nicht einmal 2 Wochen ist es soweit. Wir dürfen abstimmen. Halt, nein, wir werden befragt. Befragt, ob wir weiterhin die Wehrpflicht, oder doch ab jetzt ein Berufsheer haben wollen. Konkret lauten die Frage:
a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres
oder
b) sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?
Ganz abgesehen, von begrifflichen Missverständlichkeiten und – möglicherweise – Details in dieser Fragestellung, gibt es einige bemerkenswerte formale und prozedurale Aspekte an diesem 20. Jänner.
Ein paar Worte zu den inhaltlichen Fragen und Details (auszugsweise):
- Das österreichische Bundesheer hat dzt. eine Mannschaftsstärke von rund 16.000 Berufssoldaten, 26.000 Milizsoldaten und rund 24.000 Grundwehrdienern, letztere pro Jahr (Quelle: derstandard.at bzw. ziemlich gleichlautend: diepresse.com)
- Mit Abschaffung der Wehrpflicht würden daher die Grundwehrdiener wegfallen und die Milizsoldaten weniger werden.
- Ein von BM Darabos errechnetes Modell sieht 8.500 Berufssoldaten, 7.000 Zeitsoldaten und 9.300 Milizsoldaten vor. (Quelle ebenfalls derstandard.at)
- Ergo hat das – so bezeichnete – Berufsheer gem. Variante a) der Volksbefragung um rd. 500 Berufssoldaten (inkl. der vorgesehenen Zeitsoldaten) weniger als der Status quo.
- Ob das “Berufsheermodell” tatsächlich billiger sein soll, wie uns der Herr BM versichert oder doch letztlich teurer wird, bleibt offen und für den befragten Staatsbürger nicht nachvollziehbar.
- Vielleicht liegt die Antwort in der Vergleichsperspektive. Vielleicht meint der Herr BM aber nur, dass ein Berufsheer in der geplanten Form billiger sei als ein vernünftig (und modern) ausgestattetes Bundesheer, das ein “bewährtes Mischsystem von Grundwehrdienern, Zeit-, Berufs- und Milizsoldaten” ist und in “professioneller Weise seine verfassungsmäßigen Aufgaben für Österreich erfüllt”. (Zitat HBP Fischer)
- Wie das Modell der Wehrpflicht in Zukunft aussehen wird, sagt man dem befragten Staatsbürger nicht. Die ÖVP hat angekündigt, ihre Pläne, nach der Volksbefragung bekanntzugeben, was zu satirischen Seiten im Netz wie “Kein ÖVP Plan” führt.[1] Einzelne Details sind dann doch schon bekannt geworden. Talentecheck und Reduktion der Systemerhalter heisst es da in einem Zielekatalog, der von BM Mikl-Leitner und StS Kurz vorgestellt wurden.
- Einig scheinen sich aber – fast – alle zu sein. Auch die SPÖ namens BGM Häupl vor kurzem in Radio(?)interview, HBP Fischer im erwähnten Standard-Artikel, die ÖVP sowieso, siehe Zielekatalog. Wenn die Wehrpflicht bleibt, gehört sie reformiert.
- Also: Wir haben die Wahl zwischen einem Berufsheer (das deswegen so heißt, weil es mit weniger Berufssoldaten als bisher auskommt), von dem wir nicht sicher wissen, was es kosten wird, und einem System mit Wehrpflicht (mit Ersatzdienst), das aber jedenfalls reformiert gehört und daher auch anders aussehen wird als bisher.
- Es verwundert daher, dass dann durchaus renommierte Journalisten wie Christoph Kotanko von “klaren Fragen” sprechen.
Wurscht. Egal. Eigentlich will ich ja auf was ganz anderes hinaus.
Der formale Aspekt
Die österreichische Verfassung kennt eine Volksabstimmung und eine Volksbefragung. Auch wenn es in diesen Tagen immer wieder heißt, dass wir abstimmen, so werden wir doch “nur” befragt. Die Volksabstimmung ist in Artikel 43 und folgende geregelt, insbesondere lautet Artikel 43 wie folgt:
Artikel 43. Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluss des Nationalrates nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42 beziehungsweise gemäß Art. 42a, jedoch vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten, zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt.
Mit anderen Worten: Der Nationalrat kann, nachdem er ein Gesetz mehrheitlich beschlossen hat, zusätzlich beschließen, dass das Volk über das Inkrafttreten dieses Gesetzes entscheiden kann.[2]. So geschehen ist das bei der Abstimmung über Zwentendorf [3]
Nun ein solches, abstimmungstaugliches beschlossenes Gesetz liegt nicht vor, dazu müßten sich die beiden Regierungsparteien erst auf einen solchen Gesetzestext einigen. Was angesichts der inhaltlichen Differenzen (aus welchen Motiven immer) schwer vorstellbar ist. Daher werden wir befragt. Die Volksbefragung ist in Artikel 49b der Verfassung geregelt.
Artikel 49b. (1) Eine Volksbefragung über eine Angelegenheit von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung, zu deren Regelung die Bundesgesetzgebung zuständig ist, hat stattzufinden, sofern der Nationalrat dies auf Grund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung nach Vorberatung im Hauptausschuss beschließt. Wahlen sowie Angelegenheiten, über die ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat, können nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein.
(2) Ein Antrag gemäß Abs. 1 hat einen Vorschlag für die der Volksbefragung zugrunde zu legende Fragestellung zu enthalten. Diese hat entweder aus einer mit „ja“ oder „nein“ zu beantwortenden Frage oder aus zwei alternativen Lösungsvorschlägen zu bestehen.
(3) Volksbefragungen sind unter sinngemäßer Anwendung von Art. 45 und 46 durchzuführen. Stimmberechtigt bei Volksbefragungen ist, wer am Befragungstag das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt. Die Bundeswahlbehörde hat das Ergebnis einer Volksbefragung dem Nationalrat sowie der Bundesregierung vorzulegen.
Nun, eine solche Volksbefragung ist nicht bindend. Das Ergebnis ist der Bundesregierung und dem Nationalrat vorzulegen. Nicht mehr.
In diesem Fall entschieden sich die Regierungsparteien, der Volksbefragung mehr Gewicht zu geben, als sie rechtlich hat. So meinte zum Beispiel BK Faymann im August:
Das Ergebnis dieser Volksbefragung wird zu akzeptieren sein und ist für uns politisch verbindlich. Rechtlich handelt es sich um eine Befragung, politisch aber um eine Abstimmung.
Und diese “Mehr-Gewicht”, das dieser Volksbefragung zukommen soll, ist meines Erachtens problematisch. Grundsätzlich. Und im konkreten Fall noch viel mehr. In Artikel 9a der Verfassung ist die Landesverfassung und die Wehrpflicht geregelt:
Artikel 9a. (1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hiebei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen.
(2) Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung.
(3) Jeder männliche Staatsbürger ist wehrpflichtig. Staatsbürgerinnen können freiwillig Dienst im Bundesheer als Soldatinnen leisten und haben das Recht, diesen Dienst zu beenden.
(4) Wer die Erfüllung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen verweigert und hievon befreit wird, hat die Pflicht, einen Ersatzdienst (Zivildienst) zu leisten.
Falls die Volksbefragung eine Mehrheit für die Abschaffung der Wehrpflicht findet, und die Regierungsparteien sich weiterhin gebunden fühlen, so ist damit die Verfassung zu ändern.
Das bringt zwei formale Probleme mit sich:
- Wollte der Nationalrat die Verfassung ändern, so bräuchte es eine 2/3 Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei einer Anwesentheit von mindestens der Hälfte der Abgeordneten. Wenn man einer formal nicht bindenden Volksbefragung bindenden Charakter zugesteht, und zwar ohne Bedingung eines Mindestquorums und ohne Mindestmehrheit so ist das mehr als problematisch. Wenn der Nationalrat die Verfassung ändern möchte, brauchts eine 2/3 Mehrheit und mind. 50% Anwesenheit, und bei dieser Volksbefragung könnten z.B. 10% der Stimmberechtigten mit einem Vorsprung von z.B. 2 Stimmen ausreichen? Ernsthaft?
- Selbst wenn man das Thema des (Mindest-)Quorums beiseite schiebt, und wenn die Regierungsparteien der Volksbefragung bindendes Gewicht zugestehen wollen, ist trotzdem formal die Verfassungsänderung im Nationalrat zu beschliessen. Mit – wie erwähnt – 2/3 Mehrheit, die die beiden Regierungsparteien aber nicht mehr haben. D.h. es braucht die FPÖ oder die Grünen für einen derartigen Beschluss. Das scheint zunächst mit den Grünen, deklarierte Wehrpflichtgegner, möglich zu sein. Die FPÖ als Wehrpflichtbefürworter wird da wohl nicht zu überzeugen zu sein. Bloss, es wird wohl nicht nur eine Aufhebung des Art 9a (3) (Wehrpflicht) der Verfassung sein, denn in irgendeiner Art und Weise wird die “umfassende Landesverteidung” zu regeln sein. Damit wird das ein Gesetzes-/Verfassungspaket werden müßen, dem SPÖ, ÖVP und Grüne zustimmen können wollen müssen. Wer’s glaubt …
Der zeitliche Aspekt
Die Volksbefragung ist jetzt im Jänner, spätestens im Herbst wird der Nationalrat gewählt. Dazwischen sind noch Landtagswahlen in Kärnten, Niederösterreich und wahrscheinlich Salzburg. Wenn die Volksbefragung für die Abschaffung der Wehrpflicht ausgeht, so ist – wie erwähnt – eine Verfassungsänderung notwendig, deren Beschluss nur mit einer Oppositionspartei (FPÖ, Grüne) möglich ist. Ob sich das bis zur Nationalratswahl ausgehen wird, ist meines Erachtens mehr als fraglich.
Im anderen Fall, nämlich der Beibehaltung der Wehrpflicht, ist praktisch von allen Seiten Reformbedarf bei der Wehrpflicht attestiert worden. Ob der jetzige Verteidungsminister angesichts seiner Meinungsänderungen in der Vergangenheit das (auch angesichts der dann zu erwartenden Häme) umsetzen kann, ist mehr als fraglich. Und ob eine Regierungsumbildung kurz vor der Nationalratswahl hier der Umsetzung zeitlich förderlich ist, sei dahingestellt.
Egal, wie die Volksbefragung ausgeht, wird sich der erfahrene Österreicher und befragte Wähler wohl fragen, ob denn die eine Regierungspartei der anderen den Erfolg durch Mitarbeit und Unterstützung bei der Umsetzung der getroffenen Entscheidung gönnen wird. Die Erfahrung suggeriert eher, dass mit der Volksbefragung auch eine Sollbruchstelle für die Koalition geschaffen wurde.
Sei’s wie’s sei. An eine Umsetzung vor der NR-Wahl glaub ich nicht. Und nach der Wahl gibts andere Mandatsverteilungen, (möglicherweise) andere Regierungskoalitionen und da und dort andere handelnde Personen. Wie sehr dann die Volksbefragung noch bindend sein wird? Ich habe meine Zweifel.
Was hindert die dann handelnden (neuen?) Personen plötzlich die Fragen nach Quorum und Mindestmehrheit zu stellen? “Es war ja nie gedacht, dass bei nur …, dass müssen Sie schon verstehen, das wäre ja absurd, wenn im NR 2/3 Mehrheit und so sollen xxx Stimmen Mehrheit reichen?” Oder: “Wir würden ja gerne, aber Koalitionspartner/benötigte Oppositionspartei verweigern Unterstützung”. Oder schlicht und einfach: “ich hab nie gesagt, dass die Volksbefragung bindend ist” in die Runde zu werfen?
Inhaltlich zu schwammige Optionen, eine fragwürdige Bindung einer formal nicht bindenden Volksbefragung und die Aussicht auf baldige NR-Wahlen mit dem Störfeuer 3er Landtagswahlen. Das klingt wie der Esel, der der Karotte nachläuft, die auf einem Seil hängt, das an einem Stock hängt, der am Kopf des Esels festgemacht ist.
Oder wie sagt es Andreas Koller von den SN: Der Missbrauch des Wählers.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
- [1]Anm: der Button “für Details hier klicken” verhindert gekonnt geklickt zu werden.↩
- [2]Über andere Formen und Details sei auf die Art 44 ff verwiesen↩
- [3]Die Abstimmung lautete formal: “Soll der Gesetzesbeschluß des Nationalrates vom 7. Juli 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf) Gesetzeskraft erlangen?” Das Gesetz vom 7. Juli 1978 kann hier nachgelesen werden.↩
@DaDirnbocher ich find’s witzig, dass bei all der Diskussion kaum ein Wort zum Zivildienst fällt…Blaulicht Organisationen, what?!
@DaDirnbocher Punktlandung. Gratulation! @lindinger @scoopix @citamurd @wuchale @ckotanko
@DaDirnbocher sauber! #allesgesagt @lindinger @scoopix @CitamurD @FriedrichPendl @CKotanko
@DaDirnbocher anzahl der teilnehmer ist mmn kein grund zur kritik. zu kritisieren ist, wenn jemand seine demokratischen rechte nicht ausübt.
@DaDirnbocher well done- danke! an meinem dilemma ändert sich allerdings nichts..@lindinger @scoopix @wuchale @FriedrichPendl @CKotanko
@CitamurD welches Dilemma? Ob du Berufspolitiker werden sollst oder nicht? @DaDirnbocher
@wuchale LOL! dilemma: wie wird ein ungültiger stimmzettel behandelt? als idiotenquote oder als statement gegen regierung? @DaDirnbocher
@CitamurD eindeutig Statement! @wuchale @dadirnbocher
@Sissl ..und genau das glaub ich eben nicht. ersteres wäre einfacher, daher naheliegender. faymann heute im oe1 1/ @wuchale @DaDirnbocher
@CitamurD @Sissl @wuchale @DaDirnbocher mittagsj.: wurscht wer wie abstimmt, ergebnis zählt. ( sinngemäss) /2
@CitamurD naja, das is logisch aber je höher die ungültig-quote, desto klarer, dass Volk Abstimmung für daneben hält @wuchale @dadirnbocher
@CitamurD bringen tuts, wie jede geringe Wahlbeteiligung, nix… #demokratie @wuchale @dadirnbocher
@Sissl hm.. @wuchale @DaDirnbocher
@Sissl ist zudem nur Volksbefragung. Frechheit das Ganze. @CitamurD @wuchale @dadirnbocher
@CitamurD ungültige Stimmen werden so interpretiert, wie es gerade gebraucht wird. Detto Nicht-Stimmen. Detto Gesamtergebnis @DaDirnbocher
@CitamurD ich werd mir einen schönen Sonntag machen. Nicht aus Ignoranz, sondern aus Überzeugung @DaDirnbocher
@wuchale gehst dich nicht befragen lassen? ich glaub das schaff ich nicht. auch aus überzeugung.. @DaDirnbocher
@CitamurD diesmal das 1. mal, dass ich nicht ‘wählen’ gehe. Auch aus Überzeugung. Nicht stolz darauf. @sissl @DaDirnbocher
@DaDirnbocher (ich bin kein Experte) aber kann man nicht die Wehrpflicht eine Zeit lang außer Kraft setzen ohne die Verfassung zu ändern?
@DaDirnbocher Danke für den Link und den gelungenen Artikel, habe ihn in meine Sidebar im Blog aufgenommen. #wehrpflicht
Sich hinter dem Zivieldienst zu verstecken , ist doch das Verlogendste was es gibt ! Zivildiener wurden genau von jenen Leuten , welche das jetzt tun , als DRUECKEBERGER , Volksverraeter , Staatsschaedlinge ,und sonst noch was kriminalisiert und mit Kommissionen ,Abgeltungen die sie gerade nicht verhungern liessen und immer laengerer Dienstzeit als die Wehrdiener bestraft . Abgesehen davon stellt sich die Frage inwieweit der Gleichheitsgrundsatz zwischen Maenner und Frauen bei einem Zwangsdienst verletzt wird und das vor einem europaeischen Gericht bewertet wird .
[...] Thomas Moser wirft vor allem die Frage auf, inwieweit SPÖVP der Volksbefragung tatsächlich einen b… wenn sie für eine Änderung der Verfassung eine 2/3-Mehrheit bräuchten. Sein Fazit: “Inhaltlich zu schwammige Optionen, eine fragwürdige Bindung einer formal nicht bindenden Volksbefragung und die Aussicht auf baldige NR-Wahlen mit dem Störfeuer 3er Landtagswahlen. Das klingt wie der Esel, der der Karotte nachläuft, die auf einem Seil hängt, das an einem Stock hängt, der am Kopf des Esels festgemacht ist.” [...]