Die Geschichte mit dem Equal Pay Day

Anfang April findet der Frühjahrs-Equal-Pay-Day statt. Profil nimmt das zum Anlass in der Ausgabe 14/2012 in der Titelgeschichte die “Wahrheit über die Ungleichheit” zu enthüllen. Die Einleitung zeigt dabei gleich, wohin die Reise geht:

Frauen verdienen in Österreich bei gleicher Arbeit um ein Viertel weniger, trommeln Politikerinnen seit Jahren. Gleich zwei Equal Pay Days pro Jahr und noch mehr Kampagnen verbreiten diese Botschaft. profil hat neueste Berechnungsmethoden und Studien analysiert: Die weit geöffnete Lohnschere ist ein Mythos.

Zwei Wellen der Entrüstung sind die Folge. Die eine Welle kritisiert den Artikel, teilweise sehr genau, ja fast Satz für Satz, teilweise wird er aber auch nur in seiner Grundausrichtung kritisiert, ohne auf einzelne konkrete Details einzugehen. Die andere Welle wird getragen von jenen, die sich nun “endlich bestätigt fühlen”, in dem, was sie “eh schon immer gesagt haben”. Die klassischen Stehsätze, wenn es um Statistiken und Zahlen geht, sind natürlich nicht weit. “Glaube keiner Statistik, die ..” hört/liest man da. Der “Äpfel-mit-Birnen-Vergleichsvorwurf” darf natürlich nicht fehlen.

Und wenn 2 Wellen derartiger Wucht aufeinanderprallen, kommt selten was Konstruktives heraus. Da werden schon einmal hüben wie drüben Fakten beiseite geschoben. Da werden in Sätzen teilweise bewusst, teilweise unbewusst, Worte weggelassen und/oder (gedanklich) hinzugefügt, so dass plötzlich ein völlig anderer Sinn rauskommt, den man dann trefflich argumentativ – durchaus schlüssig und überzeugend – zerlegen kann. Wenn man ausser Acht läßt, dass der Sinn der zerlegten Satzes wesentlich verändert wurde. Da werden Zahlen präsentiert und in den “Raum geworfen”, ohne dem Gegenüber wirklich zu erklären, was die den bedeuten soll(en). Ja, manchesmal sind sogar Zweifel angebracht, ob die Person, die die Zahl(en) in die Diskussion einbringt, selbst weiss, was sie bedeuten.

Ist die Einkommensschere [1] nun runde 25% [2][3] oder doch nur 19% [4]?

Oder ist sie vielleicht doch noch weniger (einstellig?), wie zB Roland Giersig auf Facebook vorrechnet?

Es ist wohl kaum notwendig zu erwähnen, dass in so einer Situation die Sachlichkeit auf der Strecke bleibt, und aus dem Equal Pay Day schon beim einem oder anderen der Equal Schmäh Day wird.

Und dann gibts da doch hin und wieder einzelne Personen, wie Peter Rabl mehrmals auf Twitter, die Sachlichkeit, Objektivität und “ohne ideologische Einschränkungen” einfordern[5][6].

Die Diskussion ist mittlerweile etwas ruhiger, um nicht sogar “abgeebbt” zu sagen. Warum ich nun darüber blogge? Nun, vielleicht genau deswegen. Die Überlegung/die Hoffnung ist, dass es vielleicht leichter ist, den Blick hinein ins Thema zu machen, wenn die Emotionen etwas abgekühlt sind. Nun, ich weiss, dass das naiv ist. Das Thema ist offenbar derart emotional belegt, dass die Emotionen wohl beim nächsten Anlass gleich wieder hochkochen.

Aber lasst mir doch meine Naivität.

Die Sache mit der Ideologiefreiheit

In der Theorie wäre es natürlich schön, wenn man Fakten (welche?) objektiv und Unabhängigkeit der eigenen ideologischen Ausrichtung betrachten, vergleichen und diskutieren könnte. Bloss, was wäre den die richtige “Kennzahl” anhand der man das Thema (welches genau?) anschauen und beurteilen könnte?

Ist denn nicht bereits die genaue Themenformulierung Ausdruck der eigenen ideologischen Position oder zumindest von dieser beeinflusst? Gehts um:

  • Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit?
  • Gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit? Was immer “gleichwertig” dann bedeutet und wie immer man dass dann messen (i.S.v. “wertig”) möchte.
  • Gleiches (Durchschnitts-)Entgelt für Männer und Frauen?

Und wenn man dann über die ideologischen Grenzen hinweg Einigkeit über das Thema hergestellt haben sollte (was ich bezweifle), kann man sich dann auf eine/mehrere Kennzahl(en) einigen? Um nur einige Beispiele zu nennen:

  • Bruttoentgelt auf Jahresbasis? Weil das ausdrückt, was die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber wert ist.
  • Bruttoentgelt auf Stundenbasis? Weil das den Effekt unterschiedlicher Beschäftigungsausmaße rausrechnet.
  • Nettoentgelt auf Stundenbasis? Weil das letzlich den Wert angibt, der letztlich beim Mann/bei der Frau ankommt

Da wirds schwierig, die Ideologie wirklich bei Seite zu halten. Aber es würde schon helfen, wenn man sich dessen zumindest bewusst wäre und daher in der Diskussion einen entsprechenden, toleranten Spielraum zulassen würde.

Die Sache mit den Zahlen und den Statistiken

Auf der Homepage zum österreichischen Equal Pay Day wird die Einkommensschere folgendermaßen angegeben:

Da Frauen in Österreich 25,5* Prozent weniger verdienen als Männer, müssen sie auch 25,5* Prozent oder 66* Tage länger arbeiten. Daher fällt der Equal Pay Day 2012 auf den 5. April.

Als Quelle dafür ist

Die Zahlen basieren auf dem Bericht des Rechnungshofes, Reihe Einkommen 2010/1, S. 191. Berücksichtigt sind Vollzeitgehälter und enthalten sind alle Berufsgruppen, gerechnet wird mit dem Mittelwert.

angegeben.

Genau diese Statistik liegt mir nicht vor, allerdings eine ähnliche. Diese Statistik habe ich weiter oben schon einmal, als von Peter Rabl zitiert, erwähnt. Da es mir aber nicht um die ganz konkrete Zahl auf Zehntel oder Hundertsel genau geht, sondern nur um die Darstellung von Effekten und Tendenzen, denke ich, dass der Statistikwechsel unkritisch ist.

So, nun im Detail: in dieser Statistik wird Bruttojahreseinkommen unselbständig erwerbstätiger Personen aus Lohnsteuerdaten in unterschiedlichen Gruppen dargestellt. Diese Statistik weißt quer über alle Berufsgruppen für die vollzeitbeschäftigen Frauen ein Jahreseinkommen von 30.775 €, und für vollzeitbeschäftigte Männer von 38.056 € aus, das ergibt eine Differenz von (absolut) 7.281 €.

Setzt man diese Differenz in Relation zum Jahreseinkommen der Frauen (dh 7.281 / 30.775) so erhält man 23,66%. Oder anders ausgedrückt: Das Durchschnittsgehalt der vollzeitbeschäftigten Männer ist um 23,66% höher als das der Frauen. (-> das ergibt dann den Frühjahrs-Equal Pay Day, in dem Sinne, dass Frauen eben um soviel länger arbeiten müssen, um das zu verdienen, was Männer im letzten Jahr bereits bis zum 31.12. verdient haben.)

Man kann diese Differenz natürlich auch in Relation zum Jahreseinkommen der Männer (dh 7.281 / 38.056) setzen, das ergibt dann 19,13%. Oder anders ausgedrückt: Das Durchschnittsgehalt der vollzeitbeschäftigten Frauen ist um 19,13% niedriger als das der Männer. (-> das ergibt dann den Herbst-Equal Pay Day, in dem Sinne, dass Männer bereits im Herbst das verdient haben, was Frauen erst bis zum 31.12. verdienen werden.)

Und die Moral von der G’schicht: Auch wenn die Eine von 23,66% redet, und der Andere von 19,13% redet, reden beide vom Gleichen. Aber vor allem: Prozentsätze sind relative Angaben, die ziemlich wertlos sind, wenn man nicht dazu sagt, was die Basis ist, auf die man etwas bezieht.

Einige Ergänzungen noch:

  • Ohne dass ich es konkret mit Zahlen hinterlege, ist denke ich durch einen progressiven Steuertarif logisch und nachvollziehbar, dass derartige Differenzen beim Wechsel von Bruttoeinkommen auf Nettoeinkommen geringer werden.
  • Die Einkommensunterschiede sind – lt. dieser Statistik in unterschiedlichen Berufsgruppen unterschiedlich hoch. Den 19,13% über alle Berufsgruppen entsprechen bei den Angestellten 34% während es sich bei den Beamten und Beamtinnen auf 1% zugunsten der Frauen umdreht.
  • Nimmt man alle Beschäftigungsverhältnisse als Grundlage, so werden aus den 19,13% ca. 40% über alle Berufsgruppen. Die größte Differenz gibts dann bei den Arbeitern und Arbeiterinnen mit ca. 56& und immerhin noch 7% bei den Beamten und Beamtinnen.

Die Sache mit der Interpretation und der Bewertung der Zahlen

Ich hoffe, dass die Zahlen der Statistik Austria, die ich übernommen habe, nicht grundsätzlich angezweifelt werden. Denn dann müßte eine ganz andere Diskussion geführt werden. Die Diskussion, die ich mitverfolgt habe, dreht sich in der Regel auch eher um die Interpretation und Bewertung, und dabei habe ich zwei Grundargumente der Kritik gesehen.

Das erste Argument dabei ist:
Man könne für eine Aussage “(un)gleiches geld für gleiche Arbeit” nicht eine Statistik heranziehen, die quer über (ev.Beschäftigungsausmaße), Branchen, Ausbildung, Dienstjahre, etc. ermittelt wird. Würde man all diese Faktoren berücksichtigen, schreibt Profil, so würde die Einkommensschere um mehr als die Hälfte schrumpfen.

Im Profil heissts:

Die Behauptung, die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern klaffe bei gleicher Arbeit um von der Statistik Austria amtlich ermittelte 25,5 Prozent auseinander, macht in der Debatte naturgemäß mehr her als der – wesentlich erfreulichere – weit niedrigere Prozentsatz, der den Tatsachen entspricht.


Gerhard Loub
schlägt da unter Bezugnahme auf Profil in dieselbe Kerbe:

Es werden nicht gleiche Jobs verglichen, sondern einfach der Durchschnitt der Männergehälter mit dem Durchschnitt der Frauengehälter. Themen wie Arbeitsart, Arbeitsdauer, Arbeitszeit und berufliche Stellung bleiben da draußen. Und so kommt man – wie SPÖ-Frauenministerin Heinisch-Hosek heute im Morgenjournal – leicht auf Lücken von 40 Prozent. Faktisch ist das natürlich Unsinn. Denn wer Äpfel mit Birnen vergleicht, darf sich nicht wundern, wenn er zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.

Ein Argument, dass immer wieder kommt, auch bei den Diskussionen auf Twitter. Nur hier wird es etwas haarig, kompliziert und grau. Eben nicht schwarz und weiss. Sowohl Profil als auch Gerhard Loub[7] schreiben im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day von “gleichen Jobs” oder “gleicher Arbeit”. Nur, dass wird beim (österreichischen) Equal Pay Day gar nicht behauptet oder verlangt. Da heisst es (ich habs schon zitiert und mache es trotzdem noch einmal):

Der Equal Pay Day macht deutlich wie viele Tage Frauen zusätzlich arbeiten müssen, um jenen Betrag zu verdienen, den Männer bereits am Ende des Vorjahres in der Tasche hatten. Da Frauen in Österreich 25,5* Prozent weniger verdienen als Männer, müssen sie auch 25,5* Prozent oder 66* Tage länger arbeiten. Daher fällt der Equal Pay Day 2012 auf den 5. April.

Als Quelle bzw. Erläuterung heisst es weiters:

*Die Zahlen basieren auf dem Bericht des Rechnungshofes, Reihe Einkommen 2010/1, S. 191. Berücksichtigt sind Vollzeitgehälter und enthalten sind alle Berufsgruppen, gerechnet wird mit dem Mittelwert. Es gibt derzeit keinen berechneten Wert, der die Differenz in der Bezahlung von gleicher und gleichwertiger Arbeit ausweist. Alle diesbezüglichen Werte basieren auf Schätzungen oder Umfragen. Sie reichen von 12,6 % vom WIFO 2010 bis zu 46% World Economic Forum 2011.

Kein Wort von “gleicher Arbeit”. Im Gegenteil, es wird klar erläutert, dass es sich um das Durchschnittjahresgehalt über alle Berufsgruppen handelt. Weiters wird klar gesagt, dass es keinen berechneten Wert für gleiche oder gleichwertige Arbeit gibt (oder dieser den Initiatorinnen zumindest nicht bekannt ist).

Nicht wirklich hilfreich für das Diskussionsklima ist dann, das in den zitierten Stellungnahmen auf der Homepage zum Equal Pay Day und auch in diversen Interviews und Stellungnahmen in den Medien dann doch wieder von “Einkommensunterschieden bei gleicher Arbeit” die Rede ist. Es wird zwar nicht direkt auf die ca. 25% verwiesen, aber es fällt dann doch schwer, zu sagen, da würde kein Konnex hergestellt.

Womit wir auch zum zweiten, häufigen Argument kommen: Vergleicht man Durchschnitte über alle Frauen mit Durschnitten über alle Männer, würde man Äpfel mit Birnen vergleichen, da auf der einen Seite die teilzeitbeschäftigte Kassiererin und auf der anderen Seite der Generaldirektor mit dabei sei. Ja, und? Umgekehrt ist doch auch die Generaldirektorin und der teilzeitbeschäftigte Kassier enthalten. Oder?

Natürlich kann man den Unterschied in den Durschnittsgehältern auf Ursachen zurückführen. So verringert sich die Differenz von 40% (für Details siehe oben) auf knappe 24% (ebenfalls weiter oben). Und natürlich kann meine weitere erklärbare Faktoren (Ausbildung, Dienstzeit, Branche, etc.) finden. Und so kommt man dann weiter runter, so dass – lt. Profil – “nur” mehr 12% unerklärbare Differenz überbleiben.

Man könnte sich nun zurücklehnen, wie es so manche machen, weil ja die vermeintliche Einkommensschere

  1. eh erklärbar ist, und
  2. die nicht erklärbare Differenz eh nur mehr 12% beträgt

Meines Erachtens beginnt aber gerade da erst der interessante Teil des Themas:

  1. Was ist mit der noch nicht erklärbaren Differenz?
  2. Was ist mit den erklärbaren Differenzen?
    • Wollen wir in einer Gesellschaft leben, deren Rahmenbedingungen dazu führen, dass eher Frauen als Männer in Teilzeitjobs tätig sind?
    • Ist es gewünscht, dass es signifikante Unterschiede in der Ausbildung zwischen Frauen und Männern gibt, die dann zu – erklärbaren – Einkommensdifferenzen führen?
    • Ist es zielführend, dass es typische Frauen- und Männerberufe gibt, die letztlich signifikant unterschiedlich bezahlt werden?
    • Lt. deutschen Untersuchungen ist der Einkommensunterschied umso kleiner, je schneller Frauen nach Karenzierungen wieder ins Berufsleben einsteigen. Können und sollen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass Frauen früher wieder einsteigen können?

Ich denke, hier und jetzt, bei genau diesen Fragen, wäre es Zeit zuvor zurückgestellte ideologische Weltbilder hervorzuholen. Diese Fragen zu diskutieren, zu argumentieren, und Lösungsmodelle anzubeiten, wäre genau die richtige Stelle Position zu beziehen.

Bloss, wer hat so lange durchgehalten?

  1. [1]Was ist das überhaupt?
  2. [2]Was erklärt, warum der eine Equal Pay Day Anfang April stattfindet
  3. [3]und von Corinna Milborn auch erwähnt wird
  4. [4]Wie es Peter Rabl mehrmals zitiert.
  5. [5]Teil 1, Teil 2 und Teil 3
  6. [6]Teil 1, Teil 2 und Teil 3
  7. [7]als auch andere
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